|   | Ich übersetze das in eine heute leserliche Schrift: Meine 
		Lieben! Herzliche Grüße aus Korvey bei Höxter. Wir befinden
 uns augenblicklich in einer
 Gartenwirtschaft und amüsie-
 ren uns.
 Liebe Grüße an Vater,
 Mutter, C., F., B. und Winfried.
 Es grüßt Euch Euer Heinz
 
 Kommentar: Zunächst ist interessant, dass Anschrift und Text in 
		unterschiedlichen Schriften geschrieben sind. Es sieht so aus, als wenn 
		mein Bruder bei der Adresse sich sehr um eine leserliche und "amtliche" 
		Schriftweise bemüht habe. Die deutsche Schrift, auch Sütterlin-Schrift 
		genannt, (Text) wurde 1941 durch einen Erlass im damaligen Deutschen 
		Reich verboten. Man kann feststellen,. dass schon Jahre vorher ein 
		Umbruch stattgefunden haben muss. Es kommt der Verdacht hoch, hat 
		vielleicht ein anderer die Anschrift geschrieben habe! Dagegen spricht, 
		dass ein 15-Jähriger sich das wohl nicht aus der Hand nehmen lässt. 
		Genaueres Hinsehen ergibt, dass die Schrift der Adresse gemischt ist: 
		Z.B. ist Hochstr. in Sütterlin geschrieben, der Schreiber war wohl noch 
		nicht so sehr geübt in der lateinischen Schrift. Auch die Unterlängen 
		beim "ff" in Kerkhoff (Adresse) sind ähnlich wie im Text.  Auf jeden Fall will ich der Freude Ausdruck geben, weil 
		ich eine Karte meines verstorbenen Bruders gefunden habe. Mir scheint es 
		grundsätzlich schwierig, von seinen familiären Verwandten 
		Lebensdokumente zu bekommen, da man einfach zu spät danach sucht. Erst, 
		wenn man älter ist, setzt bei den meisten Menschen das Suchen der 
		Vergangenheit ein. Dann sind Verwandten verstorben und können nicht mehr 
		befragt werden, und die Dokumente sind vernichtet. Wie gern hätte ich 
		meine 1976 und 1978 verstorbenen Eltern noch heute nach Dingen aus ihrer 
		Zeit befragt. Erschwert wird es dann noch dazu, deren habhaft zu 
		werden, wenn z.B. der Bruder mehr als ein Jahrzehnt älter und im letzten 
		Krieg gefallen ist. Mein Bruder war eben 13 Jahre früher geboren und 
		fiel noch 1945, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Wegen des Krieges gibt 
		es weniger Dokumente, ich habe ihn zudem wenig gesehen, ich wurde 1934 
		geboren. Ich weiß eben zu wenig von Ihm.  Deswegen die Freude von 
		ihm, Aufzeichnungen zu finden.  Zeitlich wurde die Karte  zwei Jahre vor Ausbruch 
		des 2. Weltkrieges geschrieben. 3 Jahre ist Hitler an der Macht. Das 
		Schulleben scheint im Mai normal zu sein, obwohl Ende dieses Jahres die 
		Gewalttätigkeit Hitlers und seine Kriegsentschlossenheit gegen 
		Tschechoslowakei und Österreich offensichtlich wurden. Die Karte ist adressiert an die Hochstr. 5 in Münster. 
		Von dieser Zeit habe ich ein Foto von mir, damals war ich 3 Jahre alt. 
		Ich wurde auf der Kronprinzenstr. 13 geboren, wo wir vorher wohnten. 
		Zwei Probleme zeigten sich in der Familie: Einerseits war eine größere 
		Wohnung notwendig, andererseits reichte das Einkommen meines Vaters 
		nicht aus, eine solche zu finanzieren. Der Inhalt der Karten erinnert an heute geschriebene 
		Karten. Man schreibt, wo man lokal  und zur Zeit des Schreibens 
		ist. Das Wetter kann man herauslesen. Es scheint gut zu sein. Und dann 
		folgen die Grüße. An wen sie gehen sollen, wird oft im einzelnen 
		aufgezählt. Mein Bruder war damals, als er die Karte schrieb, 15 
		Jahre und war Internatsschüler (Vechta). Es freut mich, dass man schon 
		damals bekannte heimische Baudenkmäler in Schulausflügen aufsuchte. Die 
		Karte zeigt auf der Rückseite die Barockkirche Corvey. Auch wir, Schüler 
		des Rheiner Gymnasiums, machten 1954 eine längere Schulreise. Dabei 
		wurde auch die Kirche in Corvey aufgesucht im Zusammenhang mit dem Epos 
		Dreizehnlinden. Nur war ich 20 J., wusste aber nicht, dass mein 
		gefallener Bruder auch hier gewesen war. Der Besuch einer Wirtschaft bei einem Ausflug scheint 
		früher und heute beliebt zu sein. Eine Gartenwirtschaft war es bei 
		meinem Bruder, und sie amüsierten sich. Da muss man unwillkürlich 
		lächeln.  Inhaltlich würde man das auch, nur mit anderen Worten, 
		heute schreiben. Die am Schluss des Briefes aufgeführten Adressaten der 
		Grüße werden hierarchisch genannte.  Zuerst kommt mein Vater, der innerhalb der Familie eine 
		reale und begründete Rolle spielte. Mir ist diese klar. Er pflegte 
		fachmännisch seinen vorwiegend ausgelegten Nutzgarten, seine Eltern 
		waren ja noch landwirtschaftlich orientiert gewesen -  mein Vater 
		musste noch mit aufs Land Kartoffeln pflanzen und auflesen. Er baute 
		noch als 73-Jähriger mit der hoch einzuschätzenden Mithilfe seiner 13 
		Jahre jüngeren Frau ein Haus in Münster. Er hatte ein großes Wissen, er 
		half mir in den letzten Klassen - Oberprima - des Gymnasiums bei der 
		Mathematik, er schaute sich das an und konnte helfen, obwohl er einen 
		Realschulabschluss hatte. Auch im Fach Deutsch war er ausgezeichnet, in 
		deutscher Rechtschreibung war er ein Ass. Er war lange Jahre Leiter der 
		Pfarr-Bücherei.  Er konnte fantastisch singen und hat auf seinem 
		80. Geburtstag mit fester Stimme seine Lieder gesungen. Aber schon für 
		meinen Bruder hatte wohl mein Vater schon damals die führende Rolle in 
		der Familie, er erlebte, dass Vater ihn in ein Internat unterbrachte, wo 
		er bei Patres einen besseren Start für das Leben bekam. Er war wohl in 
		dieser Zeit der Pubertät etwas schwierig, wie alle Jungen - wenigstens 
		in der Regel. Es fällt auch noch auf, dass die Karte adressiert ist an 
		den Vater der Familie. Eine Namenstagskarte für meinen Vater, die ich 
		auch fand, zeigt, dass die christliche Erziehung im Internat 
		Auswirkungen zeigte, wo er schreibt "Dein Dich in Christo liebender Sohn 
		Heinz". Meine Mutter, als zweite Genannte, weist auf ihre 
		inneren Aufgaben der Familie hin, deren Organisation sich auch mein 
		Vater selbstverständlich unterzog. Meine Mutter war eigentlich die 
		Verwalterin des Hauses, besorgte das selbst noch fehlende Geld dafür und 
		verwaltete führend mit dem Vater Gehalt und später die Pension. Sie 
		hatte viel Arbeit mit den 5 Kindern, dazwischen Fehlgeburten, wie das 
		früher bei vielen Frauen so war.  Auf der Ansichtskarte werden dann die Geschwister fein 
		dem Alter gemäß aufgezählt, keiner kommt zu kurz, keiner wird bevorzugt, 
		auch ich nicht als der einzige Bruder in der Familie. Mein Bruder wäre Chemiker geworden. Was hätte er zu der 
		heutigen Welt gesagt? |  |          
		Analytisches: Schrift             
		Zurück in die Vergangenheit       
		    Der Fund       Meine Persönliche 
		Situation     Karteninhalt     
		Ansichtskarte von der Kirche Corvey, frühere Abtei         
		  
		  
		Adressaten der Grüße   
		Vater 
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		Mutter 
		  
		  
		  
		Geschwister 
		  
		  
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