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Zusammenfassende
    Darstellung und
    Lebensläufe

  Winfried Kerkhoff

 
Mein Vater
*19.9.1982
22.9.1882
+26.5.1976

 

 

1.Weltkrieg

von 1914-1918

2. Weltkrieg
 von 1939-1945

 

 

5 Geschwister meines Vaters
Charlotte Franziska,
* 27.8.1876
30.8.1876
Bernard Wilhelm
*29.3.1879
am 9.4.
Johann Bernard
*3.12.1884
7.12.1884
Hermann Adolf
*19.12.1886

23.12.1886
Friedrich Karl

*16.  3.1890
18.  2.1890
+19.12.1959

 

 

1. Weltkrieg
1914 - 1918

Meine Tante
Franziska, geb. Kerkhoff
Mein Onkel
Hermann Overkamp

 

 

 

Mein Mutter
Maria, geb. Schmidt
*   5.12.1895
19.12.1895
+ 23.  6.1978

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meine Mutter

Erinnerungen zum November

Von Winfried Kerkhoff

 

Scharlach

 

Welche Mutter gibt schon gern ihr Kind ins Krankenhaus und erlebt nach der Entlassung gern, dass ihr Kind gar nicht nach Hause will. Meine Mutter hat das mit ihrem jüngsten Kind erlebt. Das war ich.

Ich war gut zwei Jahre, als der Arzt bei mir Scharlach feststellte. Ich wurde in das Krankenhaus Franziskushospital in Münster gebracht. In Münster wohnten wir damals. Erzählt hat mir diese Krankenhausgeschichte mein Vater. Ich selbst konnte und kann mich natürlich nicht daran erinnern.

Nach sechs Wochen wurde ich aus der Quarantäne wieder als gesund entlassen. Mein Vater holte mich ab. Doch ich wollte nicht mit. Ich hatte wohl nur noch schwache Erinnerungen an meine Familie. Mein Vater brachte ein weinendes Kind nach Hause. Ich jammerte nicht nur auf dem Heimweg, sondern quengelte auch weiterhin zu Hause. „Ich will nach Swester, nach Swester!“ Meine Eltern und Geschwister konnten mich nicht beruhigen. Noch nach Wochen soll ich nach den Worten meines Vaters gelitten haben. Meine arme Mutter, mein armer Vater, was müssen sie wohl irritiert und traurig gewesen sein; das Lächeln, das sie zeigten bei der späteren Erinnerung an diese Zeit, konnte die damalige Sorge in den Augen nicht verdecken.

 

 

Peinlich

 

Ich kam von der Schule und war Schüler der 1. Klasse. Ganz nötig musste ich auf die Toilette. Der Weg von der Schule bis zur Leererstraße (Münster) kam mir sehr lang vor. Hoffentlich machte mir meine Mutter schnell die Tür auf. Aber es regte sich nichts. Ich schellte noch einmal. Nichts. Sollte ich nach oben in die oberen Stockwerke gehen? Eigentlich waren die Bewohner oben mir ziemlich fremd. Da war es schon geschehen. Mein „großes Geschäft“ lag auf der Flurmatte vor unserer Tür. Ich war ganz erschrocken. Da hörte ich jemanden die Haustür öffnen. Wenn das nur meine  Mutter ist, hoffte ich. Sie war es. Sofort sah sie mein Malheur. Nahm mich auf den Arm und brachte mich zur Toilette. Dann verschwand sie, kam recht bald zurück  und schüttelte etwas in die Toilette und zog. Dann nahm sie mich in die Arme und drückte mich an sich. Vergessen habe ich das nie. Was taten mir Mutters Arme gut!

 

 

Waschtag

 

Wäsche waschen? Heute macht man das nebenbei. Da ist die Maschine, die programmierbar ist. Die schleudert auch. Ein Trockner erspart die Wäscheleine.

Als ich in die Schule ging, wohnten, setzte meine Mutter für die Kochwäsche - und davon gab es noch viel, außerdem waren wir ja eine große Familie  - extra einen Waschtag an. Ich habe das noch genau in Erinnerung von der Zeit, wo wir in Münster, Leerer Str. 2, wohnten. Wie ein Waschtag ablief, auch noch nach dem Krieg, weiß ich noch genau. Mutter erzählte, dass ihr, als die Kinder unterwegs waren, eine „Waschfrau“ half. Am Vorabend wurde die Wäsche eingeweicht, die am nächsten Tag gekocht werden sollte. Dafür nutzte meine Mutter einen großen fest gemauerten Kessel im Waschkeller. Am nächsten Morgen wurde der volle Kessel mit Wäsche angeheizt und zum Kochen gebracht. Mit Holz und Kohle. Ab und zu stieß man mit einem Waschholz die Wäsche wieder unter Wasser. Später hatten wir eine „Glocke“ dafür, mit der man die Wäsche auch noch stampfte. Die „Glocke“ bestand aus zwei ineinander geschobenen Kupfertöpfen, die sich infolge einer inneren Federung immer wieder auseinander schoben. Löcher im unteren Teil saugten die Lauge ein, wenn man diese Glocke mit dem Stiel in die Wäsche drückte. Meine Eltern waren damals ganz stolz, dass sie dieses Gerät besaßen. Die gekochte Wäsche wurde in eine „Spülmaschine“ mit einem vierarmigen Kreuz gebracht. Da die Wäsche noch gerade kochte, konnte man sich leicht verbrennen. Das Wasser wurde ein paar Mal erneuert, dann wurde die Wäsche ausgewrungen. Dafür gab es eine Vorrichtung: Zwei Walzen, die sich zueinander drehten, wurden mit einem Metallarm in Gang gesetzt. Die Wäsche wurde Stück für Stück, manchmal auch mehrere Stücke, in die Walzen hineingezogen und ausgepresst. Sehr leicht konnten die Fingern mit der eingeschobenen Wäsche zwischen die Walzen geraten. Den Wringer zu bedienen, wurde meine Aufgabe, sobald ich die Kräfte dazu hatte. Vorher bediente mein Vater dieses Gerät. Den Metallarm zu drehen, war sehr anstrengend. Überall war früher Körperkraft nötig. Waschtag war ein Hochleistungstag.

 

 

Erkältung mit Folgen

 

1943 schickten meine Eltern meine Schwester Beate und mich  wegen der ständigen Bombardierungen und Kelleraufenthalte in der Nacht - meine Mutter hatte den Wecker auf 23 Uhr gestellt , ab da war in der Regel Alarm  -  nach Burgsteinfurt. Das war die Geburtsstadt meines Vaters und dort wohnten noch Verwandte. Die Tante Katharina, Vaters Schwägerin, die im ersten Weltkrieg ihren Mann verloren hatte, nahm uns auf in diesen schweren Zeiten; meine Eltern und die anderen beiden Geschwister, die aber noch in Frankfurt und Rheyt-in-Winkel studierten, kamen später nach.. Nach einigen Wochen fanden wir eine Wohnung, Auf der Schulstraße, direkt gegenüber des elterlichen Hauses meines Vaters. Wir bezogen einige Zimmer eines Lagerhauses, in dem nebenan wohnende Bäcker seine Vorräte an Kohle, Mehl usw. lagerte. Es war ja Krieg, die Bäckerei war geschlossen, weil der Mann eingezogen oder gefallen war. Es gab in Haus und Hof Ratten und Kakelacken.  Die Ratten waren schneller fort als die Kakelacken. Immer lag in irgendeiner Ecke ein feuchter Aufnehmer, unter dem meine Mutter diese fiesen Viecher fing.

Kaum hatten wir uns eingelebt, da bekam ich eine schwere Erkältung. Ich schlief als knapp Zehnjähriger immer noch in meinem ca. 1,50 m großen Kinderbett. Weiß war es, hatte Jahre im Keller in Münster gestanden, und ich hatte nachts darin gelegen, wenn Alarm war und die Bomben fielen. Mit meinem großen Teddy im Arm fühlte ich mich darin sehr sicher. Mutter packte mich in ihr Bett, denn der Arzt konnte mich in meinem hohen Gitterbett nicht untersuchen.

Der Arzt stellte bei mir eine schwere Lungenentzündung fest. Ich durfte in Mutters Bett bleiben. An einen weiteren Besuches des Arztes kann ich  mich sehr gut erinnern. Er stand mit meiner Mutter neben dem Bett, Ich verstand nicht viel. Dann kamen die abschließenden Worte, die nicht zu überhören waren. "Wir müssen bis morgen abwarten, dann entscheidet sich, ob ihr Sohn am Leben bleibt oder  stirbt." Diese Situation mit Arzt und Mutter und diese Worte habe ich nie vergessen. Aber seltsamerweise war ich wohl in einem kritischen Zustand, dass ich die Tragweite dieser Worte nicht fassen konnte. Auf jeden Fall wurde ich wieder gesund. Ohne Folgeerscheinungen.

Mein Bettchen muss wohl nach diesem Ereignis verliehen oder verschenkt worden sein. Es tauchte wieder auf, als der erste Enkelsohn sich ansagte. Da bekam ich von meinen Eltern diese Bett zurück. Unser ältester Sohn lag darin die erste Zeit seines Lebens darin und machte ein paar Tage nach der Geburt seine Bekanntschaft mit unserer kinderliebenden deutschen Dogge.

 

 

Hunger und Hilfe in der Nachkriegszeit

 

Meine Mutter brachte in den Nachkriegszeiten, wenn sie mit dem Zug gefahren war, bisweilen Frauen mit ihren Kindern mit, die nicht wussten wohin sie sollten. Diese hatten oft nicht ihren Anschlusszug bekommen. In den Nachkriegszeiten waren die Züge oft überfüllt, unpünktlich oder fielen aus. Manchmal hielt meine Mutter auch auf dem nahe gelegenen Bahnhof nach solchen Hilflosen Ausschau. Meine Mutter gab ihnen zu essen und ein Dach über ihren Kopf. Manchmal blieben die Gäste sogar mehrere Tage da. Einige Male blieben das Kind oder die Kinder Wochen, wenn deren Mutter weiterfuhr und Arbeit oder eine Wohnung suchte. Man kann sich heutzutage gar nicht vorstellen, welche Not und chaotische Zustände in den Nachkriegsjahren herrschte. Da gab es keine Wurststände oder billige Unterkünfte. Man übernachtete im überfüllten Wartesaal, wenn es überhaupt einen gab.

Zwei Kinder blieben sehr lange in der Obhut meiner Eltern, besuchten sogar bei uns die Schule und gingen zur Erstkommunion. So entstanden manchmal Kontakte, die über Jahre hinaus andauerten. Mein Vater nahm das nicht nur ganz gelassen hin, er stand hinter ihrem Tun.

Nach dem Krieg las meine Mutter einmal eine ganze Gruppe deutscher Soldaten auf, die aus der Gefangenschaft entlassen und auf dem Wege nach Hause waren. Ich weiß noch genau, wie Mutter einen großen Topf mit Essen kochte und die Männer überglücklich waren.

 

 

Mutter teilt ihre Küche mit Verwandten

 

Als wir nach dem Krieg wieder in Burgsteinfurt wohnten – vorher waren wir bei einem Bauern in Horstmar evakuiert - und eins der Kinder von Vaters jüngerem Bruder nach der Heirat keine Wohnung fand, teilten meine Eltern ihre Wohnung. Dieses Paar – Maria wie meine Mutter und Adolf – bekamen ein Zimmer zum Schlafen und unsere Küche zum Wohnen. Meine Mutter kochte nur noch dort für uns. Wir hatten ja noch ein Wohnzimmer. „Das lässt sich gut machen“, meinte meine Mutter, als wenn das selbstverständlich wär. Damals war ich ja nur noch als einziges Kind zu Hause; meine anderen Geschwister – drei Schwestern – lernten bzw. studierten auswärts. Nach knapp einem Jahr fand unser Paar in Osnabrück eine Wohnung.

Wir waren doch sehr froh, wieder eine Küche für uns allein zu haben.

 

 

Neugieriges Bummelnein auffallend rascher Sinneswandel

 

Es war kurz nach dem Krieg. In den Geschäften und besonders in den Schaufenstern gab es wieder einiges zu bewundern. Das konnte einen schon sehr freuen. Besonders war ich von dem Eisengeschäft nicht wegzukriegen. So vieles neues Handwerkzeug wurde angeboten. Manches Mal kam ich von Einkäufen wiederholt spät nach Hause. Ich hatte ob der vielen zu sehenden Dinge schier den Einkauf oder den Heimgang vergessen. Ich wusste, dass meine Mutter machte sich große Sorge, dass mir etwas passiert, wenn ich nicht und nicht kam. Aber die Neugierde hatte die Oberhand. Damals erzählte man sich viel über Kindesentführungen. Es muss wohl sehr schlimm gewesen sein.

Als ich einmal wieder stark verspätet nach Hause kam, geschah mir etwas Unerwartetes. Zwei Stunden war ich wohl zu spät. Meine Mutter empfing mich an der Tür. Ehe ich mich versah, bekam ich mit dem Kochlöffel Schläge. Das hatte ich noch nie erlebt. Nach dem zweiten Schlag verschwand meine Mutter in der Küche. Ich war erschrocken. Nicht einmal hatte ich bis dahin Schläge bekommen. Von da an trat bei mir eine radikale Veränderung ein. Ich hatte meiner Mutter ins Gedicht gesehen. Darin stand pure Verzweiflung. Sie hatte sich wohl nicht mehr zu helfen gewusst, dass ich mit solcher Sturheit, zu spät nach Hause kam, und deshalb zu solch einem Erziehungsmittel griff; auch ihre Angst, mich zu verlieren, all das stand in ihrem Gesicht. Die Schläge taten weh, aber meine Mutter tat mir wirklich leid. Ich schämte mich. Das war das letzte Mal, das ich zu spät nach Hause gekommen bin. Bis heute bin ich immer um Pünktlichkeit bemüht.

 

 

Auswandern

 

Was bei mir in meinem Leben eine Zeitlang, wenn auch nur kurz, nach Kriegsende wirklich große innere Unruhe, ja Beängstigung auslöste, war die Idee meiner Mutter einen Neuanfang in einem anderen Land zu setzen. Diese Idee entwickelte meine Mutter, nachdem wir eines Tages unerwartet ein Paket aus USA erhielten. In dieser Nachkriegszeit bekamen eine ganze Reihe von Deutschen Care-Pakete von amerikanischen Vereinigungen. In solchen Paketen – so hatten wir gehört – waren Nahrungsmittel, auch z. B. Süßigkeiten, die es noch nicht wieder bei uns gab. Der 2. Weltkrieg wirkte mächtig nach. Doch unser Paket hatte eine Schwestergemeinschaft als Absender. Aber Esswaren waren in dem Paket wie in den anderen. Auch Schokolade. Mein Vater erzählte, dass er eine weitläufig verwandte Kusine in einer Klostergemeinschaft in Ohio habe, die uns wohl dieses wunderbare Geschenk gepackt hatte. Wie sie unsere Wohnung in Burgsteinfurt fand, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht hatte mein Vater mit ihr in Briefkontakt gestanden. Er schrieb der Schwesterngemeinschaft einen Dankesbrief und es bestätigte sich seine Vermutung, dass seine Verwandte in diesen schlimmen Tagen an uns gedacht hatte. Und sie vergaß uns auch weiterhin nicht. Ich weiß aber nicht mehr, wie oft und wie lange wir solche Esspakete erhielten. Auf jeden Fall war immer ein Festtag, wenn etwas aus USA eintraf.

In dieser frühen Zeit nach dem Krieg konfrontierte uns unsere Mutter überraschend mit dem Gedanken, nach USA und zwar dorthin, wo die Schwester im Kloster lebte, auszuwandern. Ich weiß nur noch, dass der Vorschlag meiner Mutter sehr verhalten in der Familie aufgenommen wurde. Mein Vater sagte nichts dazu, er wusste wahrscheinlich schon von dem noch vagem Wunsch meiner Mutter. Meine Geschwister äußerten sich mit starken Gefühlen dagegen. Ich war entsetzt; die Belastung, die ich durch zweimaliges Zerstören unserer Wohnungen durch Bomben, einmal in Münster durch eine Luftmine und einmal durch Stabbrandbomben in Burgsteinfurt, erlitten hatte und die Verluste so vieler lieber Dinge zeigten ihre Wirkung. Schon fühlte ich meine neu entstehende Geborgenheit in dem erst kürzlich bezogenen Haus durch eine Auswanderung in Gefahr. Ich konnte als junger Mensch nicht abschätzen, wie realitätsnah die Meinung meiner Mutter war. Aus heutiger Sicht würde ich vermuten, dass meine Mutter vielleicht für kurze Zeit ein wenig den Boden unter den Füßen verloren hatte. Sie wollte wohl einen Neuanfang. Erst die vielen Verluste durch den Krieg; noch ganz frisch war die Nachricht über den Tod in Russland ihres erstgeborenen Kindes. Noch im August 1945 erfuhren wir, dass mein Bruder am 11.3. in demselben Jahr gefallen war. - Ich war sehr zufrieden, dass Gedanke des Auswanderns später nicht mehr auftauchte.

Meine Mutter schaffte es mit meinem Vater in den folgenden Jahren mir neue Geborgenheit zu vermitteln. Für mich waren es Jahre, die gefüllt waren mit wichtigen persönlichen Ereignissen: Wir bekamen in der Familie einen Hund, ich wurde Taubenliebhaber und baute einen Schlag oben auf dem Boden, ich hatte zum ersten Mal einen richtigen Freund, mit dem ich mich später schrieb, ich verliebte mich zum ersten Mal in ein Mädchen, ich fuhr mit einem eigenen Rad, das ich mit meinem Vater aus vielen Einzelteilen zusammenbaute. – man bedenke, der Krieg war gerade vorbei, und es fehlte an vielen Dingen. Ich konnte wieder das Gymnasium Arnoldinum in Burgsteinfurt besuchen; ein Jahr nachdem ich nach dem Krieg in die 5. Volksschulklasse ging. Alles in allem wurde ich so gefestigt, dass ich 1949 selbst eine Trennung von der Familie vollzog, ich wollte ins Internat nach St. Arnold. Mein Ziel, Missionar werden.

 

 

Mutters Frühstück

 

Im Frühjahr 1949 wurde ich Schüler in dem Internat. Der Aufenthalt in St. Arnold bei Rheine war kurz, schon Herbst 1950 kam ich zurück, weil ich die alljährliche Verpflichtung in den Orden einzutreten, nicht mehr unterschreiben wollte, aber dennoch bleiben konnte. Diese Bevorzugung passte mit nicht. Eine Mogelpackung wollte ich nicht eingehen. Ich war wohl ein kleiner Gerechtigkeitsfanatiker. In das Gymnasium in Burgsteinfurt wollte ich keineswegs zurück, ich wollte eventuellen blöden Sprüchen der Lehrer und Schüler entgehen. So meldete mich mein Vater im Rheiner Gymnasium Dionysianum an, das ich ab Herbst in der Obertertia (Kl.7) besuchte. Nun musste ich früh aufstehen, um von Burgsteinfurt mit dem Zug zu fahren. Kurz vor sieben war Abfahrt. Bis zu meinem Abitur im Frühjahr1955 brachte mir an jedem Morgen meine Mutter das Frühstück ans Bett. Über 5 Jahre. Um kurz nach sechs Uhr kam meine Mutter die Treppe herauf und brachte mir Brot mit Aufschnitt und Kaffee, natürlich Kaffeeersatz. Das genoss ich sehr, obwohl ich glaube, dass ich es nicht genug würdigte, geschweige denn erkannte, wie sehr meine Mutter mich liebte, das jüngste Kind und den einzigen Sohn. Mein 13 Jahre älterer Bruder war ja noch im März 1945, in der Endphase des Krieges, in Polen gefallen.

 

 

Lesen und Lesen und

 

Ich hatte im 1. Stock unseres gemieteten Hauses in Burgsteinfurt ein eigenes Zimmer. Als ich dann wieder von dem Internat St. Arnold zurückkam, hatte ich manchmal das Gefühl, zuweilen ein Einzelkind zu sein, was ich genoss. Von meinen drei Schwestern sah ich an den meisten Tagen der Woche nichts. Die jüngste war im Internat, die anderen studierten. Später nach ihren Prüfungen, waren alle im Schuldienst als Lehrerin und wohnten in der Woche auswärts. Schon vor meiner Zeit in St. Arnold war ich eine Leseratte. Als ich wieder zu Hause war, nutzte ich den Vorteil aus, dass mein Vater Leiter der Borromäus-Bücherausleihe war. Ich blieb in meiner Freizeit viel in meinem Zimmer und las, meistens mehrere Bücher in der Woche. Karl Mays Bände, immer und oft ausgeliehen, las ich bis auf zwei alle. Sicher bummelte ich mit anderen Jungen auch im kleinen Städtchen Burgsteinfurt.

 

 

Futter für die Tauben

 

Als ich aus dem Internat zurückkam, musste ich für meine Tauben ein neues Heim schaffen. Der Hausbesitzer verbat mir, die Tauben weiterhin auf dem Hausboden zu halten. Er sorgte sich, dass der Boden durch den Kot verätzt werde. Er hätte ja auch eine Bodenplatte für den Schlag fordern können.

Ich plante lange, denn ich war ratlos und unentschlossen. Schließlich entwarf ich einen Gartenschlag aus Holz auf vier Standbalken. Sicher half mir mein Vater, der ja damals schon lange pensioniert war; ich weiß aber, dass er mir ziemlich freie Hand ließ und ich selbständig arbeiten konnte. Ich wundere mich heute, das ich damals ein Taubenhaus auf einer Grundfläche von 1,50 m mal 2,00m und einer Höhe von 1,50 m baute. „Von Unten nach oben,“ war meine Devise. Und es klappte.

Aber ich hatte mich finanziell übernommen. Mein monatliches Taschengeld von 10 DM und das Geld, das man mir für Nachhilfestunden gab, gingen über Monate drauf, bis ich fertig war. Ich hatte Sorgen, meine Tauben zu ernähren.

Ich ging zu meiner Mutter. Die hatte mir gesagt, wenn du mal kein Futtergeld hast, ich kann dir wohl vom Hühnerfutter etwas abzweigen. Ich bat nicht gern, aber ehe meine Tauben an Hunger litten! Meine Mutter gab mir gern und reichlich.

 

 

Stricken

 

Meine Mutter strickte sehr gern. Nicht nur die Töchter ahmten die Mutter nach, ich, der einzige Junge, auch. Wen wundert das bei vielen Vorbildern. Als ich eine feste Freundin hatte, stäbelte ich – das war damals eine moderne Art einer Strickweise – für sie sogar eine Jacke. Als im Handel Strickmaschinen für den Hausgebrauch angeboten wurden, wollte meine Mutter eine solche Maschine haben. Da wir in den nächsten Jahren zu bauen planten, fehlte das Geld dafür. Meine Mutter fand einen Weg. Sie wollte Tischdecken umsäumen. Für jede Tischdecke bekam sie 20 Pfennig. Aber dafür benötigte sie eine ordentliche elektrische Nähmaschine. Meine älteren Schwestern, um die 20 Jahre, rieten ab, mein Vater hielt sich zurück, war eher skeptisch. Meine jüngere Schwester war im Internat; und ich – ich war ausersehen, die Decken auf dem Fahrrad zu transportieren. Meine Mutter ließ sich von den kritischen Meinungen nicht beirren. „Ich habe das berechnet“, sagte sie. Und sie schaffte es. Zuerst nähte sie auf unserer Tretnähmaschine, dann zahlte sie von dem erwirtschafteten Geld die elektrische Nähmaschine an und ab. Natürlich fertigte sie mit dem elektrischen Gerät eine enorme Stückzahl an. Die Strickmaschine war in Sichtweite – wie man so anschaulich sagt. Als meine Mutter dann diese erworben hatte, musste sie richtig ran und ihre Lernfähigkeit beweisen. Genäht hatte meine Mutter ein Leben lang, aber die Bedienung der elektrischen Nähmaschine und der Strickmaschine war neu und forderte sie voll. Aber sie schaffte es. Als ihre Enkelkinder, unsere Kinder, geboren wurden, das war sechs bis sieben Jahre später, bestrickte sie diese auch noch mit großem Erfolg. Da wir damals bauen wollten, waren wir sehr dankbar dafür, dass wir manches Kleidungsstück geschenkt bekamen.

 

 

Ein Eigenheim - Mutter und Vater bauen

 

In den frühen 50er Jahren wurde in Kinderhaus, Münster, Bauland erschlossen. Meine Schwestern, die in Münster studierten, kamen mit der Nachricht nach Hause. Die Gelegenheit war günstig, aber auch der Preis. Meine Eltern erwarben ein Grundstück: 7,00 DM das Quadratmeter. Ich als jüngster in der Familie hatte gar nicht mitbekommen, dass meine Eltern, vor allem vermutlich meine Mutter, dabei waren, ihren Herzenswunsch zu realisieren. Aber wie sollte die Finanzierung des Hausbaus erfolgen? Trotz der Zuschüsse und Darlehen blieb ein Finanzloch.

Ich habe erst später erfahren, dass meine Mutter das fehlende Geld beschaffte. Sie erbettelte von Bekannten die fehlenden Tausender auf „Pump“. Da mein Vater sehr genau Buch führte, fand ich nach seinem Tod die geliehenen Summen in den Akten für den Hausbau aufgeschrieben. Hinter dem Namen und der geliehenen Summe, war das Rückgabedatum notiert. Es waren tausende von Marken, die meine Mutter zusammengebracht hatte. Die älteste meiner Schwestern hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Geld und auch die anderen Darlehen zurückgezahlt werden konnten. Sie gab viele Jahre 400 DM von ihrem Gehalt an meine Eltern. Dafür vererbten meine Eltern ihr auch später das Haus.

Aber auch ich habe meinen Anteil an dem Gelingen des Bauvorhabens geleistet. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mit meinem Vater über Monate im Sommer von Burgsteinfurt nach Kinderhaus per Zug gefahren bin. Wir haben mit Spaten, Schüppe und Schiebkarre den Mutterboden von der Baustelle auf den hinteren Teil des Grundstückes gebracht. Es war eine Knochenarbeit. Vater war 73 Jahre und ich war 21, hatte gerade mein Abitur gebaut und fühlte mich bärenstark. Die Überraschung in diesem Urlaub war Erika, meine Freundin, besuchte uns am Bauplatz. Sie hatte eine Mitfahrgelegenheit gehabt.

Übrigens konnten wir das Haus in Kinderhaus-Münster Herbst 1956 beziehen. Es fehlte noch die Haustür. Meine Mutter fürchtete sich sehr. Aber auch sie stand es durch; da war ja unser Schäferhund Styx, der uns beschützte.

 

 

Finanzspritze

 

Erika und ich hatten gerade unser Eigentum bezogen (1969) und wie alle paar Wochen unsere Eltern in Emsdetten und Münster-Kinderhaus besucht. Als die Kinder im Bett waren, kam Erika zu mir und legte mir einen 50-DM-Schein auf den Schreibtisch. „Den hat mir deine Mutter zugesteckt.“ Der wäre für sie.

Von da an bekam Erika ab und zu, wenn wir bei mir zu Hause waren, einen 50er. Meine Mutter hatte den erspart – so sagte sie Erika. Uns tat diese kleine Finanzspritze für unser Haus gut. Die Ausgaben waren hoch, die Eigenleistungen waren noch nicht alle getan, kosteten teils auch wiederum Geld. Erika verdiente nicht mit.

 

 

Ein Team

 

Meine Mutter und mein Vater waren ein gutes Team. Sie hatten zusammen Plätzchen oder Kuchen gebacken, wenn wir sie mit den Kindern besuchten. Oft stand die Trommel mit dem Gebäck schon abholbereit.

Sie harmonierten ausgezeichnet beim Tapezieren. Im hohen Alter von 85 und 72 tapezierten sie noch Zimmer unserer Wohnung, bevor wir auszogen in den Neubau. Ich habe sie, wenn ich sie mal abends besuchte, zusammen den Rosenkranz beten gesehen.

Wenn mein Vater müde von draußen kam, nach ein paar Stunden Gartenarbeit, war Mutter da und brachte ihm Rotwein mit geschlagenem Ei. Das war in der damaligen Zeit der Stärkungstrunk. Meine Eltern waren umeinander sehr besorgt.

 

 

Meine Eltern bei uns

 

Ich war schon Jahre verheiratet und hatte mit meiner Frau Erika unser Haus bezogen. Drei Kinder hatten wir. Da erkrankten meine Eltern, die in Münster-Kinderhaus immer noch wohnten, schwer.

Wochenlang lagen sie im  Clemens-Hospital. Irgendwie waren sie "aufgebraucht". Meinem Vater ging es viel schlechter als meiner Mutter. Der Chefarzt hatte keine gute Prognose für meinen Vater. Er glaubte, die Lebenszeit beider sei eigentlich sehr begrenzt. Da ich mich um meine Eltern sehr kümmerte, gab mir mein Vater, natürlich auch meine Mutter die Vollmacht über Haus und Konto.

Letztendlich wollten sie auch nicht gerne wieder in ihre altes Eigenheim und baten mich und meine Frau um Aufnahme in unsere Wohnung. Wie kann man seinen alten Eltern – Vater war über 90 Jahre und Mutter fast 80 –  einen solchen Wunsch abschlagen! Unsere Eltern bekamen unser Schlafzimmer und das frühere Spielzimmer. Beide Zimmer lagen nebeneinander. Erika und ich schliefen auf einer Schlafcouch in meinem Arbeitszimmer. Ich musste damit rechnen, dass meine Geschwister verstimmt waren. Ich konnte das verstehen. Meine Eltern hatten einen gescheiterten Versuche, in ein Seniorenheim zu ziehen, hinter sich. Vielleicht wollten sie auch Platz für meine Schwester, die gerade geheiratet hatte, machen. Meine Mutter fand es außerdem unangenehm, dass mit der Heirat ihrer Tochter ein fremder Mann in das Haus zog, in dem auch sie wohnten. Meine Eltern ließen sich nicht von ihrem Entschluss abbringen. Wir nahmen sie in unsere Wohnung auf.

Leider blieben sie nur einige Monate. Sie wollten doch wieder eine eigene Wohnung haben. Zunächst versuchten sie nach Kinderhaus, wo sie das Haus besaßen, zurückzukehren. Dort hatte sich aber meine jüngste Schwester nach dem Auszug ihrer Eltern eingerichtet. Nun wollten Sie nicht bei uns bleiben, den beabsichtigte Wohnungswechsel wollten sie nicht rückgängig machen. Ich vermute, dass meine Schwestern sie zum Wohnungswechsel überredetet hatten. So zogen sie zu meiner Schwester in Telgte, die ja dort in einem Altenwohnheim als Nonne tätig war. Glücklich waren Erika, die ja damals noch lebte, und ich nicht über den Auszug unserer Eltern, obwohl wir ja weniger Sorgen hatten.

 

 

Kindheit und Erwachsenwerden meiner Mutter

 

Meine Mutter wurde fast 83 Jahre, am 5.Dezember 1895 war ihr Geburtstag, ihr Todestag der 23.6.1978. Meine Mutter wurde in einer kinderreichen Familie groß., die in Holsterhausen/Essen – Ruhrgebiet – wohnte. Sie bekam den Namen Maria Regina. Ihre Mutter hatte elf Kinder zur Welt gebracht. Sie starb schon sehr früh. Nun waren sieben Kinder Halbwaisen. Maria war damals 17 Jahre. Immerhin lebten noch weitere 6 Geschwister in der Familie, 4 waren schon vor ihrer Mutters Tod verstorben. Sie sind wohl nicht alt geworden.

Ab jetzt sorgt Maria für ihren Vater, der Lokomotivführer ist, für ihre Geschwister und für den Haushalt. Es wird berichtet, das eine Hausdame, im heutigen Sinne etwa Hausmädchen, half. Aus den Halbwaisen werden bald Vollwaisen. Auch der Vater, der zunächst Werkmeisteraspirant, später Lokomotivführer war, starb früh, 1915, im zweiten Jahr des 1. Weltkrieges, drei Jahre nach dem Tode seiner Frau und ist bei seinem ältesten Sohn Ernst in Koblenz-Pfaffendorf begraben. Ernst war bei der Bahn tätig. Irgendwie muss sich die Familie in tragischer Weise aufgelöst haben. Nur mit diesem Bruder hat Maria und ihre Familie sogar später nach den 2. Weltkrieg noch Kontakt. Über den Verbleib der anderen Kindern ist mir nichts bekannt mit Ausnahme der  9jährigen Clara.

Maria Regina wird Hausmädchen bei der Familie Dütting in Nordhorn. Ab wann und wie und wieso das geschieht, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist vermutlich das Jahr 1917, als Maria einen Mann kennen lernt. Heinrich Kerkhoff (meinen Vater), der auf einem 14tägigen Fronturlaub ist und seine Schwester Franziska besucht. Franziska wohnt in Frensdorf bei Nordhorn, hat drei Kinder, Elli, Gerhard und Hermann, und ist verheiratet mit Hermann Overkamp, der Kaufmann und Personalchef bei der Firma Niehues und Dütting (Gründung 1897) in Nordhorn ist. Zufall oder Fügung?

Wahrscheinlich ist Maria mehrere Jahre bei der Familie Dütting. Die Hochzeitsaussteuer, die meine Mutter später von ihrem Arbeitsherrn bekommt, ist beträchtlich und deutet darauf hin. Diese Aussteuer umfasst Küchenmöbel und eine vollständige Wäscheaussteuer. Das hat mir meine Mutter persönlich erzählt.

Außer Maria Schmidt gab es noch eine weitere Hausgehilfin bei der Familie Dütting, die eine freundschaftliche Verbindung zu Franziska Overkamp pflegte. Irgendwie scheint sich da ein engerer Kontakt zwischen den beiden Hausmädchen ergeben zu haben. Die beiden Haushaltshilfen sind auch späterhin freundschaftlich verbunden und haben Jahre über Marias Eheschließung miteinander Kontakt.

Zufall oder Schicksal, dass sich Maria und Heinrich treffen? In den nächsten Jahren kommt Heinrich Kerkhoff noch öfter – immer, wenn er Fronturlaub hat - nach Frensdorf, um seiner Schwester zu helfen oder um die junge Frau Maria zu treffen. Was davon zutrifft, kann man im Nachhinein nicht entscheiden; wahrscheinlich stimmt beides.

Diese Beziehung mündete 1919 nach Kriegsende in die Verlobung beider und 1920 in die Ehe. Maria ist Hausgehilfin – als berufslos bezeichnet,– und ihr Mann ist Bürohilfe bzw. Kassenassistent an der Landwirtschaftskammer in Münster. Diese Berufsbezeichnungen sind in der Hochzeitsurkunde des Standesamtes Nordhorn vom 3. August 1920 eingetragen. Ein Tag später ist die kirchlicheTrauung.

Das Paar bezieht eine Wohnung auf der Dorotheenstr. 24 in Münster. Mit in die Ehe bringt meine Mutter, die das zweitälteste Kind und das älteste Mädchen ist, ihre jüngere Schwester Clara, die mittlerweile 14 Jahre ist. Klatschmäuler erzählten damals, dass dieses Mädchen ein voreheliches Kind meiner Mutter und meines Vaters wären. Kein Kommentar, da es ziemlich unmöglich ist.

Die erste Wohnung meiner Eltern in Münster lag an einer Seitenstraße der Wolbeckerstraße im Herz-Jesu-Viertel. Auf der anderen Seite der Wolbeckerstraße liegt die Leerer Str., wohin meine Eltern später zogen und ich von 1936 bis 1943 als Kind lebte. Übrigens haben  meine Eltern oftmals umziehen müssen: steigende Unkosten, „Kinderreichtum“.

Meine Mutter brachten fünf Kindern zur Welt. Zuerst und zuletzt einen Jungen. In den Zwischenzeit hatte sie mehrmals Fehlgeburten – mir scheint, dass das früher vielfach das Los der Frauen war.

 

 

Das Ende

 

Im Sommer 1978 riefen mich meine Schwestern von Telgte aus an, wo meine Mutter nach dem Tode meines Vaters weiterhin in dem Altenheim gewohnt hatte. Das Ende meiner Mutter war gekommen. Erika und ich sammelten unsere drei Kinder ein und fuhren los. Meine Schwester Felicitas lebte – zur Erinnerung - in dem Haus, das Elisabeth-Institut hieß und eine Altenabteilung hatte, als Nonne und pflegte mit anderen Schwestern die alten Menschen. Als ich dort ankam, musste ich feststellen, dass meine Mutter nicht mehr lange zu leben hatte. Meine Mutter, die vieles nicht mehr geordnet kriegte, schien uns zu erkennen, mich begrüßte sie mit den Worten: "O Heinz, wie schön, dass du mich besuchen kommst." Ich war bestürzt, dachte aber: Ich lasse sie in ihrer Vorstellung. Ich wusste ja, das sie meinen im Krieg gefallenen Bruder, ihr erstes Kind, sehr vermisst hatte. Ich erzählte noch, dass ich Professor geworden war. Diese Nachricht, so dachte ich, wird ihr eine Freude machen. Ich glaube, dass sie es mitbekommen hat, aber das Gesagte schrieb sie meinem Bruder zu. Ich ließ sie in ihrem Glauben. Kurze Zeit später, etwas nach dem Mittag, starb sie. Wir standen um ihr Bett und weinten sehr. Felicitas und eine andere Ordensschwester wuschen und kleideten meine tote Mutter ein.

Als der Bestatter kam, stellte sich heraus, dass er nur einen Arm hatte und meine  Mutter wegen ihres starken Gewichtes die sehr steile Treppe aus dem ersten Stock nicht hinunter tragen konnte. Er wollte sie  an einer Schlinge am Hals die Treppe herunter ziehen. Man stelle sich das mal vor! Alle waren entsetzt. Ich sagte leise: "Ich trage sie die Treppe hinunter!" Ich schob meine Arme unter den Körper meiner Mutter und hob sie aus dem Bett. Sie war schwer und ich hoffte, dass ich mich nicht übernommen hatte und das schaffte. In manchen Lebenssituationen kann man mehr, als man glaubt. Es sind schier überirdische Kräfte! Meine Mutter war noch warm. Wie oft hatte sie mich in ihrem Leben umfangen und auf den Armen gehalten? Wie oft hatte ich mich morgens zu ihr in ihr warmes Bett gekuschelt! Ich war irgendwie glücklich, dass ich sie tragen durfte und sie vor dem fürchterlichen Treppensturz bewahren konnte. Aber ich erinnere mich auch noch heute, dass ich mit Sorge oben vor der obersten Stufe inne hielt und die lang gestreckte Treppe betrachtete und in Gedanken hinabstieg.

Meine Schwester Felicitas ging hinter mir her und packte – wirklich Gott-sei-Dank - mich fest im Rücken an der Jacke, damit ich besser das Gleichgewicht halten konnte. Ich schaffte die Anstrengung, kam wohlbehalten unten im Erdgeschoss an und legte meine tote Mutter in den Sarg. Alle atmeten auf. Sie war mir immer eine achtbare und liebe Mutter gewesen. Ade, meine geliebte Mama!

!914 wurde das Grab meiner Eltern auf Antrag meiner Schwester Felicitas eingeebnet. Fast 40 Jahre hat die Grabstätte in Telgte bestanden. Zu Lebzeiten meiner Geschwister hatten wir uns immer am 1. November zu einem Grabbesuch getroffen.

 

 

Über den Tod hinaus

Es war das Jahr 1984,  man könnte sagen ein Schicksalsjahr .Ich hatte meine Frau, die sich todübel fühlte,  in das Franziskushospital in Münster gebracht. Später wurde sie zur Diagnostik in die Raphaelsklinik überwiesen. Dann ging es weiter in das Clemenskrankenhaus zur Fachabteilung des Hirnspezialisten. Schwerer blutiger Schlaganfall war das Urteil der Ärzte. Als ich tieferschöpft und in Gedanken  die Treppe zur Wohnung hochsteige, war mein einziger Gedanke: ich muss sofort meine Mutter anrufen. Meine Mutter war  fast sechs Jahr tot.  Aber in dieser schweren einsamen Stunde war sie meine einzige Rettung und sie wohl bei mir.

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Lebenslauf meines Vaters

 

Vergl. auch
 
-Totengedenken

  -Kalendarium

  -GastGalerie

  -Ein zweiter Junge

  -Mein Lebenslauf

 

 

Marias  (meine Mutter) Eltern hatten viele Kinder

August Schmidt

*9.12.1893

+unbekannt

Maria Regina Schmidt

*5.12.1895

19.12.1895

+23.6.1978

Ernst Schmidt mir bekannt,

*23.12.1897

 

Willy Schmidt

*15.1.1899

 

Paul Schmidt

*28.6.1902

 

Josef Schmidt(Friseur

*19.1.1905

≈5.2.1905

+8.7.1983

Clara Schmidt

*9.3.1906

+1930

Karl Schmidt

*7.1.1908

+4.8.1908

Friedrich Schmidt

*12.5.1910

+18.5.1910

Albert Schmidt

*31.8.1911

+31.11.1911

N.Schmidt