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Wir sind alle Engel mit nur einem Flügel. Um fliegen zu können, müssen wir einander umarmen. Luciano de Crescenzo

                   

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Am 20.10.2011 wurde das nachfolgende Märchen von mir im Charvari-Puppentheater in Münster gelesen. Noch weitere drei Schriftstellerkollegen/in lasen. Der Leiter Plein spielte mit seinen Puppen originelle Zu- oder Nacharbeit. Ich war begeistert.

Schön, das die Presse jemanden schickte. Es wurde auch ein Foto von den Akteuren gemacht. Der Pressevertreter fragte auch nach meinem Namen. Aber erschienen ist bis heute nichts in der Zeitung. Schade, dass die Presse so wenig zuverlässig reagiert. Das Theater war sehr gut mit Besuchern besetzt.

 

 

 

 

      
Charvari-Puppentheater in Münster

 

Presse: Fehlanzeige

Vom Lieben

Ein Märchen für Erwachsene, 

die immer von der Liebe träumen

 

ÓVon Winfried Kerkhoff

 

 

1

„Wo bin ich geboren?“, fragte die junge Liebe.

„In den Schaumkronen des Meeres, so wie es die Griechen einst von der Liebesgöttin Aphrodite berichten,“ antwortete die alte erfahrene Liebe. „Der Wind des Meeres hat dir einen seiner vielen Flügel gegeben, damit du dich mit ihm hochschrauben und gleiten kannst.“

„Und wohin - wird mich der Meereswind wehen, wenn ich in den Lüften bin?“, wollte die junge Liebe wissen.

„Er wird dich zur Liebesinsel treiben,“ erläuterte die alte Liebe. „Das ist dein Ziel, dort wirst du bleiben und glücklich sein.“

„Und, ist es weit bis dahin?“, fragte die junge Liebe.

„Ja, es ist sehr weit und anstrengend. Manchmal wird ein Orkan dich zausen und an deinen Federn rupfen. Vielleicht musst du eine Zeit lang auf den Wogen in Richtung Insel schwimmen, bis dir neue Flügelfedern gewachsen sind. Aber du wirst auf jeden Fall dort ankommen,“ die alte Liebe klang zuversichtlich.

„Das ist aber sehr einsam, wenn es so lange dauert bis zur Liebesinsel,“ erwiderte die junge Liebe traurig.

„Du wirst vielleicht eine andere Liebe unterwegs treffen, die ein Stück mit dir fliegen will, vielleicht auch länger,“ tröstete die alte Liebe. „Ihr werdet sehen“.

„Woran kann ich erkennen, dass die andere Liebe mit mir fliegen will,“ wollte die junge Liebe weiter wissen.

„Sie wird es dir sagen. Du wirst es fühlen. Zusammen - mit zwei Flügeln - werdet ihr besser vorankommen,“ erklärte die alte Liebe.

„Meinst du, dass wir zusammen fliegen können, dass es einen guten Flügelschlag zusammen gibt?“, fragte die junge Liebe.

„Ihr müsst es ausprobieren. Sonst findest du sicher eine andere Liebe,“ machte die alte Liebe Mut.

„Dann will ich jetzt losfliegen,“ und die junge Liebe schlug kraftvoll mit ihrem einen Flügel und schraubte sich hoch.

Die alte Liebe schaute sehnsüchtig der jungen Liebe nach, wie sie sich schnell in den Wind erhob.

Sie wusste, dass es ein langer beschwerlicher Flug war bis zur Liebesinsel, auch sie - war auf dem Weg dorthin.---

 

2

Jahre vergingen. Oft wurde die alte Liebe von jüngeren Lieben überholt, die allein oder aneinander gekoppelt zu zweit mit doppelten Schwingen flogen.

Die alte Liebe schien allein ganz gut voranzukommen. Sie sah auch mächtig schaukelnde Doppel und unter sich auf dem Meere zerzauste Singles und Zweier. Opfer des Orkans. Sie hatte immer Glück gehabt und konnte den Stürmen ausweichen.

Da entdeckte sie die junge Liebe unten  auf dem Meer; sie hatte kaum noch Schwungfedern. Die alte Liebe ließ sich fallen und landete neben der jungen Liebe.

 

3

„Was ist geschehen?“, fragte die alte Liebe.

„Ich kam in einen Orkan, der riss an mir und ich verlor an Federn und Kraft. Dann traf ich eine andere junge Liebe. Wir flogen prächtig zusammen. Doch nach kurzer Zeit wurde ich müde, und wir wurden langsamer. Die andere Liebe stöhnte, weil sie sich mehr anstrengen musste, um das Tempo zu halten. Wir wurden immer langsamer.

Es überholten uns immer mehr Lieben, allein und zu zweit. Da ließ die andere einfach los und flog mit einer kräftigeren jungen Liebe davon,“ erzählte die junge Liebe und schaute sehnsüchtig und traurig in die Richtung der Liebesinsel.

Die alte Liebe wusste nicht, war es nun Sehnsucht zur anderen verlorenen Liebe oder Sehnsucht nach der Insel. -

„Was ist dann mit dir passiert?“, begann die alte Liebe nach einer Pause.

„Ich trudelte nach unten und stürzte ins Meer. Ich war sehr kraftlos, konnte Tage nicht weiter, nur auf der Stelle treiben." Und die junge Liebe sackte ineinander. Von der Glut einer jungen Liebe war kaum noch etwas zu spüren.

„Ich – schwimme mit dir. Ich ziehe dich!“, entschloss sich die alte Liebe. "Ich zeige dir, wie man neue Kraft gewinnt. Wie man sich die lange Zeit der Reise vertreibt, wie man sich gegenseitig - ermutigt."

Und schon - sie voran – schwammen die beiden los.  Die alte Liebe verschenkte Obhut und Fürsorge. Sie wärmte und schützte die junge Liebe in der Nacht. Beide freuten sich an der Anderen. Sie kamen gut voran, und die Federn der jungen Liebe wuchsen - von Tag zu Tag.

 

4

Die alte Liebe merkte nach Wochen, in denen sie zusammen geschwommen waren, dass die junge Liebe neuen Lebensmut bekam.

„Ich will wieder fliegen,“ rief die junge Liebe eines Morgens. Und sie flogen beide; die junge Liebe zunächst im Windschutz der alten Liebe. Oft waren sie aneinander gekoppelt, um Kraft zu sparen.

Die junge Liebe gewann Lebensmut und wurde immer schneller. Die alte Liebe geriet bald außer Atem.

„Flieg allein weiter,“ keuchte die alte Liebe.

„Nein,“ wehrte die junge Liebe ab, „ich werde dich nicht in Stich lassen!“

Doch - die anderen jungen Lieben - zu zweit oder allein waren schneller, und so fragte die junge Liebe eines Tages: „Bist du böse, wenn ich schon mal vorausfliege? Ich habe solch eine Sehnsucht nach der Insel der Liebe.“

Die alte Liebe lächelte: „Ich würde gern mit dir weiterfliegen, zu zweit ist es bequemer und schöner, man kann sich unterhalten und Mut machen, man kann sich gegenseitig die Liebe erklären, nahe sein und sich beschenken. Aber flieg nur, ich komme nach.“ Und gab ihr einen kleinen Schub, dass sie  auch wegflog.

„Bis dann, tschüss!“, rief die junge Liebe.

Die alte Liebe sah der schnell davon eilenden jungen Liebe nach, ein paar Tränen rollten aus ihren Augen, sie ahnte nun, was es hieß glücklich zu sein, und wünschte der jungen Liebe - einen guten Schwung und eine heile Reise!

 

5

Lange Zeit flog die alte Liebe allein weiter und sehnte sich nach der Liebesinsel und - dachte oft an die junge Liebe, die schon voraus geflogen war, da sie es nicht abwarten konnte. Ob sie schon die Insel erreicht hatte? Keiner wusste ja, wo und wie weit entfernt diese Insel lag. Denn, wer einmal die Liebesinsel erreicht hat, bleibt immer dort.

Oft wurde die alte Liebe überholt und manches Mal überholte sie andere Lieben, die zu zweit oder allein, müde geworden, sich zur Insel quälten, und viele sah sie unter sich auf den Wogen des Meeres, allein oder zu zweit, die sich ausruhten oder im Wind trieben, manche von ihnen zerfleddert und traurig.

Als sie sich so umschaute, bemerkte sie eine einzelne Liebe von unten aufsteigen, direkt auf sie zu. Da war wohl jemand, der sie auserkoren hatte, mit ihr zusammen zu fliegen. Viele andere Lieben hatten das schon versucht, aber sie hatte lieber allein weiter fliegen wollen.

Sie hatte immer wieder an die junge Liebe gedacht, mit der sie eine Zeit lang zusammen gewesen war. Die Erinnerung ließ sie nicht los.

Die einzelne Liebe, die aufgestiegen war, flog nun neben ihr her, sie war jung, schön und glühte - sehr hell.

„Wie geht es Dir,“ begrüßte sie die alte Liebe. „Erkennst du mich nicht?“

Die - alte - Liebe leuchtete auf. Es war die junge Liebe! „Du?“, stieß sie hervor, und zugleich zuckte die Liebes-Glut in ihr unruhig und sie taumelte. Sie sackte tiefer und tiefer, kraftlos. Ihr letzter Gedanke war: „So werde ich die Insel der Liebe nie erreichen!“, und ihr Bewusstsein schwand. Sie fand sich wieder auf dem Meer.

 

6

Aber sie war nicht allein. Die junge Liebe erklärte: „Ich habe hier auf dich gewartet. Das letzte Stück bis zur Insel der Liebe ist wohl besonders schwer. Ich habe nämlich gesehen, dass hier, - anders als vorher, nicht die Gleichstarken miteinander fliegen, sondern die starken Lieben die schwachen ziehen. So wie du - es mit mir schon vor langer Zeit gemacht hast.“

„Da bist du auf die Idee gekommen, auf mich zu warten,“ ergänzte die alte Liebe lächelnd, „aber mit mir - wirst du es nicht leicht haben!“

„Doch!“, beschwichtigte die junge Liebe, „wenn man jemanden zieht, ist man viel stärker und schneller, als wenn man zu zweit - schlecht fliegt!“

Es war nicht einfach für die junge Liebe, die alte Liebe zu ziehen. Aber die alte Liebe erholte sich - nach und nach; bald flogen sie zu zweit nebeneinander, verhakt, wenn auch ein wenig schief, weil die junge Liebe - einen kräftigeren Flügelschlag hatte.

Sie wussten, der Weg zur Insel der Liebe war weit. Sie mussten vielleicht noch Jahre fliegen. Aber eines Tages - würden sie ankommen.

 

Ó Winfried Kerkhoff

 

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