Kommentar
Ausgangspunkt für mein Gedicht
„Lieblich“ war ein Urlaub im Kärntner Land. Es war die Zeit nach dem
Tod meiner Frau, die nach fast 50-jähriger Beziehung im Jahr 2000 starb.
Jahrelang lebte ich in einem ziemlich desolaten Zustand und versuchte
mich in Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten wieder zu finden. Die
Überschrift des Gedichtes „Lieblich“ könnte neutral als eine thematische
Leitidee, aber auch als eine Provokation zum meinem nachfolgenden
Vers-Text ausgelegt werden. -
Die kurzen und
duftschweren Nächte, die ich während des Campingaufenthaltes im Kärntner
Land allein, ja in dem Gefühl der Einsamkeit, im Juni 2003 erlebte,
erweckten in mir zarte Erinnerungen an meine Frau, mit der ich hier auch
auf der Fahrt nach Rom geweilt hatte, und zunächst sehnsuchtsvolle, fast
euphorische Gefühle, die aber schnell wieder einer depressiven Stimmung
wichen.
In einer dieser
Juninächte tauchte der Vers „Lieblich sind die Juninächte“ in meinem
Kopf auf - mit einem Schwall von Gedanken: Da war das Epos
„Dreizehnlinden“, in dem dieser Vers stand, aber wo stand es in meinem
Bücherschrank zu Hause? Hieß es wirklich Juninächte? Oder Maiennächte?
Waren es dunkle oder helle Nächte, von denen in den weiteren Versen die
Rede war? Erinnerungen an die Rheiner Schulzeit - Oberstufe, in der wir
Schüler „Dreizehnlinden“ lasen und die Linde und das Kloster
„Dreizehnlinden“ während einer Klassenfahrt aufsuchten. Mir fiel ein,
dass meine Frau und ich hin und wieder „Dreizehnlinden“ hervorgeholt
hatten und darin lasen. Auch in ihrer Schulzeit war „ Dreizehnlinden“
Lesestoff gewesen.
Als ich wieder von
meiner Urlaubsreise zurückgekehrt war, fand ich Webers „Dreizehnlinden“
sehr schnell in meinem Bücherschrank, auch den gesuchten Vers.
“Lieblich sind die Juninächte“ hieß er. Begierig las ich die
nachfolgenden Verse bei Weber. „Wenn des Abendrots Verglimmen…“(
Dreizehnlinden. Warendorf i.W. o.Jahr, Verlag Peter Heine & Co..,S.43)
Die Rosen – Symbole der Liebe - und die Nachtigall –die kleinen
Troubadouren der Liebe - tauchen auf, werden von Weber mit Blut und
Weinen verbunden und damit desillusioniert, werden Antipoden zu den
lieblichen Nächten. Der Frühling lächelt sterbend, er wirbt für sich bis
zuletzt, aber er stirbt. Es ist ein langes Sterben, ehe er dem Sommer
weicht. -
Es sei in
diesem Zusammenhang nur kurz auf eine weitere Parallele zu dem Tod
meiner Frau verwiesen. Meine Frau war im Sarg auf roten Rosen gebettet,
ein sanftes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sechzehn Jahre hatte sie sich
erfolgreich gewehrt gegen das endgültige Gehen. -
Das kontrastierte Bild des Abschieds bei
Weber – lieblich, ineinander schwimmen gegenüber Blut, weinen - machte
mich betroffen. In meinem Gedicht sah das so aus:
Doch,
was ist daran so lieblich.
wenn bei ihm
die Rose, jede rot, in ihrem Blut vergeht? (Winfried Kerkhoff, Verf.)
Es empörte mich sogar ein wenig, bis ich
begriffen hatte, dass der Dichter Weber hier als Seher sprach, der in
den Gaben des Monats bzw. der Jahreszeit den Abschied erkannte, während
allgemein die Menschen schon den Vorsommer – vielleicht vorschnell –
feiern.
Oder ist´s das
Küssen und das Kosen? (W.K.,
des Sommers)
Erinnerungen an
das schmerzvolle Abschiednehmen meiner Frau von uns, an unseren Abschied
von ihr. Sogar das ineinander Verschwimmen von Abend und Morgen bei
Weber (die hellen Nächte) wirkten auf mich bedrohend – man denke an das
blendend-gleißende Licht des Autoscheinwerfers, an den Ruf: „Es
brennt!“. Beides lässt alles andere im Moment des Erschreckens
vergessen.
Doch in Webers
Dichterei verdecken
des Lenzens
letztes Werben
drohend diese
hellen Nächte,
und die
Nachtigallen klagen um sein Sterben. (W.K.)
Meine
Auseinandersetzung mit Webers Versen enden mit der Feststellung:
Nicht immer
sind´s die dunklen Mächte,
die alles
unheilvoll aufwecken. (W.K.)
Aber in dem Falle meiner Frau
und von mir schienen es wohl dunkle Mächte zu geben:
Du fühlst, es
hat sich was verschworen
gegen dich und
mich. (W.K.)
Mit diesen Versen wird der
Bezug zu meinem bzw. unserem persönlichem Schicksal gesetzt. Die Folgen
des Schicksalschlages:
Monate und
Jahre gehn verloren. (W.K.)
Das Partnerleben gestört, das
Familienleben eingeschränkt.
Hinter solchen Dramen verbergen sich oft allgemein Unglück, Leiden,
Arbeitslosigkeit!
Mut und Kraft?
Irgendwann
verschwunden. (W.K.)
Was bleibt, wenn Mut und
Kraft schwinden? Bleibt die Beziehung, das Küssen und das Kosen? Bleibt
die Liebe oder nur die Pflicht? Oder das nicht mal! Es kommt zu einer
Beziehungskrise, in der beide Betroffenen arg belastet werden. Bezogen
auf meine Situation waren es viele Jahre chronischer Krankheit meiner
Frau mit absoluter Abhängigkeit vom sozialen Umfeld und viele Jahre
intensiver Pflege. In solchen oder ähnlichen Fällen überlebt oft nur
einer, der Pfleger, weil der Zustand des Partners sich verschlechtert -
oder der Zupflegende, weil z.B. der gesunde Partner sich übernimmt.
Einer bleibt
zurück -
Du oder ich.
Geschunden. (W.K.)
Gleich, wer
überlebt, er ist der, der angeschlagen zurückbleibt. Allein, hilflos,
seelisch traumatisiert würde die Psychotherapeuten sagen.
Pech oder
Glück! (W.K.)
Diese Feststellung,
keine Frage, hört sich sarkastisch an und ist sarkastisch gemeint! Ist
der, der Glückliche, der überlebt? Oder hat er Pech, dass er so
„erledigt“ zurückbleibt? Hat der, der sich vorzeitig verabschieden
muss, etwa Pech, weil er ( oder sie) lieber bei dem Partner geblieben
wäre? Oder sollte er (oder sie ) sich glücklich schätzen, dem
Erdenleiden entronnen zu sein? Sind das Sichtweisen, die von
Außenstehenden gefällt werden und unterschiedlich ausfallen müssen, die
letztlich aber gar nicht zu treffen sind? Sondern nur von den
Betroffenen selbst? Und ist nicht gebührendes Schweigen gegenüber der
persönlichen Lage des Betroffenen von den Außenstehenden gefordert?
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